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Ich bin viele

Blogartikel Seelenlektüre: Ich bin viele von Joan Frances Casey. Eine ungewöhnliche Heilungsgeschichte #Buch #Bücher #Therapie
Buchvorstellung: "Ich bin viele" - Joan Frances Casey

... oder warum wir alle Viele Persönlichkeiten sind

von Katja Otto

(der ursprüngliche Text erschien 2017 auf www.seele-baumelt.de)

 

Vor einigen Jahren habe ich ein interessantes Buch gelesen: „Ich bin viele“ von Joan Frances Casey (Rowohlt-Verlag). Hier geht es um eine Frau die autobiographisch ihre eigene Traumageschichte aufarbeitet. Infolge immer größer (und v.a. bewusst) werdender Gedächtnislücken erfährt sie erst im Erwachsenenalter in der Therapie, dass in ihrem Inneren verschiedene abgespaltene Persönlichkeiten das Ruder über ihr Leben übernommen haben.

 

Als mir das Buch in die Hände viel,  war ich noch Medizinstudentin und habe nebenbei in der Psychiatrie gejobbt. Eine meiner Mitbewohnerinnen in meiner WG hatte von einer Frau erzählt, die an einer "multiplen Persönlichkeit" litt.  Ich habe gelernt, dass es diese Diagnose offiziell nicht gibt (zumindest damals) in Deutschland. Die Wissenschaftler streiten sich ja allzu gerne immer wieder darüber ob etwas exisitiert oder nicht, je nach aktueller "wissenschaftlicher Beweisbarkeit“. Die Diagnose kann zwar gestellt werden, wird aber immer noch von Ärzten teilweise abgelehnt.

 

(Mein späterer Chef im Berufsleben fühlte sich in der Pflicht uns Ärzte daran zu erinnern, dass es „Traumata“ ja meist gar nicht gäbe. Die meisten Patientinnen würden im Grunde ihre Geschichten nur erfinden. Was soll mann/frau dazu sagen? )

 

Seit ich dieses Buch gelesen habe, bin ich gewiss, dass es multiple Persönlichkeiten gibt. Ob anerkannte Diagnose oder nicht. Auch in meinem Klinikalltag im Umgang mit Patienten ist dies immer deutlicher sichtbar geworden, egal ob in der Suchtklinik, Schizophreniestation oder bei affektiven Störungen. Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen und weiter treu begleitet in den nächsten Studien- und Berufsjahren. Ich habe verschiedene Bücher über dieses und ähnliche Phänomene gelesen. Das Phänomen der „gespaltenen“ Persönlichkeit ist mir in veränderter Form immer wieder begegnet. Es ist ja heute zumindest wissenschaftlich anerkannt, dass wir verschiedene Persönlichkeitsanteile in uns haben, die eben mehr oder weniger miteinander verbunden sind. Man könnte auch sagen, innere Personas, die miteinander kommunizieren, oder auch nicht (im Falle einer völlig gespaltenen Persönlichkeit). Manche sprechen auch von „inneren Welten“. Es gibt den Begriff des „inneren Kritikers“ oder „inneren Antreibers“. Freud sprach von „Über-Ich, Ich und Es". In der Schematherapie  gibt es z.B. das „Eltern-Ich“ und „Erwachsenen-Ich“. Selbst in der spirituellen Szene spricht man von einem Selbst und dem Ego.... und nun gäbe es noch dutzende weitere Beispiele...  ihr versteht aber worauf ich hinaus will.

Und die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, wie "Borderline" (emotional-instabile Persönlichkeitsstörung)  oder die narzisstische Persönlichkeitsstörung sind offizielle Diagnosen. Diese repräsentieren letztlich aber auch einen Persönlichkeitsanteil, den wir alle in uns haben, der bei manchen Menschen so extrem ausgebildet ist, dass er quasi alle anderen (gesünderen) Anteile in Stressituationen in uns "übergeht". Den Betroffenen ist dies meist nicht sofort bewusst. Die sozialen und zwischenmenschlichen Auswirkungen auf das Umfeld sind häufig aber nicht zu übersehen.

 

...unsere vielen Rollen

 

Ja, auch ich bin also viele. Mein Ego-Ich wird von verschiedenen Rollen bekleidet, der Mutterrolle, Arztrolle, Frauenrolle, Tochterrolle, dann bin ich ja auch noch übergeordnet viele: eine Träumerin, Idealistin, Künstlerin, Rebellin... und und und. In unserem inneren teilt sich unsere Gefühlswelt in sogenannte Innere Kind-Anteile, da gibt es das "verletzte innere Kind", das "Sonnenkind" und das  "Schattenkind". Unser Selbstbild setzt sich eben ähnlich wie in einem Puzzle aus vielen verschiedenen Teilen zusammen. Wie erlebt ihr das? 

 

Wenn wir uns dieser inneren Spaltungen bewusst werden, ist das für viele Menschen erst einmal bedrohlich, passt es doch gar nicht zu unserer Vorstellung eines gesunden, reifen Erwachsenen. Doch ich kann nur jeden ermutigen, mutig hinzusehen und sich Hilfe zu holen, in Form einer Therapie oder eines Coachings, wo ihr in vertrauensvoller Begleitung diese inneren Anteile nach und nach bewusst machen, heilen und integrieren könnt, um wieder "Ganz" zu werden. Bzw. sich wieder "ganz" zu fühlen. Ich glaube, dass ausnahmslos alle Menschen eine mehr oder weniger ausgeprägte innere Trennung  von Persönlichkeitsanteilen haben, doch nicht immer ist das therapiebedürftig. Aber letztlich entscheidet jeder selbst über das eigene Bedürfnis heiler und glücklicher im Leben zu stehen.

 

...unsere Herausforderung bei der Persönlichkeitsentwicklung

 

Auf meinem bisherigen Lebensweg habe ich für mich erkannt, dass viele meiner Puzzleteile nicht richtig zusammengefügt sind, bzw. manche Puzzleteile gar nicht zu mir gehören, oder verletzt und unreif sind und daher das Gesamtbild stören. Auf dem Weg zu einer gesunden Persönlichkeit ist es meiner Meinung nach wichtig sich die Puzzleteile einmal genauer anzusehen, neu zu sortieren, auszusortieren und so zusammenzufügen, dass ein harmonisches Gesamtbild entsteht mit einer mir eigenen inneren Ordnung (die in Harmonie mit der äußeren Ordnung ist). Verletzte Anteile in uns möchten gesehen und geheilt werden ( z.B. durch Innere Kind Arbeit). Das setzt Energien frei, die uns im Leben weiter bringen.

 

Buchinhalt:

 

In dem genannten Buch  "Ich bin viele" von Joan Frances Casey geht es letztlich genau darum. Die zu Beginn suizidale Erzählerin erkennt mithilfe einer Therapeutin, dass in ihr mehrere voneinander getrennte Persönlichkeiten schlummern, die abwechselnd ihr Tagesbewusstsein übernehmen und zu einem bis dato durchaus funktionierenden Leben beigetragen haben. Unser Gesamtbewusstsein sorgt immer dafür, dass wir irgendwie weiterleben können. Eine Kommunikation der Persönlichkeiten findet bei der Erzählerin nur im Unterbewusstsein statt (welches sich z.b. in Tagebucheinträgen zeigt). Das bedeutet für sie aber einen unheimlich großen Energieaufwand und führt zu immer häufigeren Gedächtnislücken und Funktionsstörungen. Manchmal "erwacht" sie in ihrem Auto und steht vor dem Haus einer Freundin und weiss nicht mehr wie sie hier hergekommen ist. Ein anderer Persönlichkeitsanteil hatte scheinbar in den Stunden davor das Gesamtbewusstsein übernommen und somit auch ihr Leben weitergelebt.

 

Die Heilungsgeschichte dieser Frau war für mich super interessant zu lesen und hat mir damals auch gezeigt wie wichtig es ist eine gute, vertrauensvolle Beziehung zum Therapeuten aufzubauen. Heute gibt es auch in Deutschland speziell entwickelte Therapieformen, z.B. die DBT für Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder EMDR Traumatherapie. Spezialisierte Psychotherapeuten, die sich mit der Diagnose der Dissoziierten Persönlichkeitsstörung kompetent befassen gibt es, doch leider noch zu wenige.

 

Absolute Leseempfehlung für alle psychologisch interessierten!

 


Kommentare: 1
  • #1

    E (Mittwoch, 16 Februar 2022 12:44)

    Hallo ich freue mich, dass Du Dich mit dem Thema beschäftigst. Es ist traurig zu hören, was noch heute den angehenden Ärztinnen vermittelt zu werden scheint. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Annäherung an diese Diagnose erleichtert, sich selbst damit ein Stück zu indentifizieren. Klar haben alle Menschen Anteile. Das steht für mich sogar außer Frage. Schon Schulz von Thun beschäftigte sich damit ausgiebig.
    Es ist bei der DIS so, dass eine tiefe Konfusion darüber vorherrscht, wer und wie man ist und meistens gibt es mehr oder weniger bewusste Zeitlücken im Alltag. Das führt zu vielerlei Folgeproblemen zum Beispiel in der Beziehungsgestaltung zu anderen Menschen. Es gibt also mehrere Persönlichkeitsanteile, die nie die Möglichkeit hatten zusammenzuwachsen. Der Grund dafür ist schwerste Gewalt, die jede Integration seit frühester Kindheit scheitern ließ. Die Dissoziative Identitätsstörung ist demnach eine sehr komplexe Traumafolgestörung. Manche Betroffene sind schwerbehindert und nur eingeschränkt arbeitsfähig.

    Übrigens gibt es die Diagnose sehr wohl in Deutschland. Es gibt auch Traumakliniken, die sich mit dem Störungsbild auskennen. Es ist nur so, dass manche Mediziner*innen/ Psycholog*innen sie ablehnen zu diagnostizieren und daraus eine Glaubensfrage machen. Um eine Brücke in das reale Leben zu schlagen und damit die Schwierigkeit eines Vergleichs mit "Anteilen der Normalgestörten" aufzuzeigen, erlaube ich mir folgenden Hinweis: Die mediale Berichterstattung von und die polizeilichen Ermittlungen zu schwerster organisierter Gewalt an Minderjährigen haben in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. (Lügde/Plattformen im www/Kirche). Es besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass die betroffenen Kinder erstens schwerst traumatisiert sind und zweitens aufgrund dieser Gewalt dissoziative Störungen entwickelt haben. Diese Wahrscheinlichkeit leitet sich aus der Tatsache ab, dass Menschen nachweislich eine nicht unendliche Möglichkeit haben Erfahrungen zu integrieren, die subjektiv sehr schlimm sind. Insbesondere, wenn Bezugspersonen die Täter sind. Eine mögliche Reaktion auf diese Art von Gewalt und der überforderten Integrationsfähigkeit eines Kind ist auch die Ausprägung der Dissoziativen Identitätsstörung.