Warum wir wieder mehr Gehen sollten
von Katja Otto
Das Gehen ist mein liebstes Fortbewegungsmittel. Einfach nur Gehen - kein Laufen, kein Rennen, kein Joggen - nur Gehen. Spazieren. Flanieren. In meinem Tempo.
Schon als Kind habe ich es gehasst hinter den schnelleren Erwachsenen hinterher zu laufen. Oder nach dem Bus zu rennen, wenn ich doch wusste der nächste kommt sowieso in 5 Minuten. Was für einen Sinn hat das? Oder in meinen Augen noch sinnloser: nach der Schule wieder nach Hause rennen, bloß nicht die U-Bahn verpassen - die übrigens auch alle 5 Minuten fuhr in dieser großen, schnellen Stadt in der ich aufgewachsen bin. Ich ließ meine Freunde losrennen und trottete hinterher, nahm gemütlich einfach die nächste Bahn. Auf dem Weg beobachtete ich die Menschen um mich, schaute in Schaufenster, entdeckte auch hin und wieder ein paar Glückspfennige auf dem Boden...
Achtsames Gehen als Entschleunigung im stressigen Alltag
Es lohnt sich nach einem stressigen Arbeitstag zur Abwechslung mal eine Station früher auszusteigen und den Rest der Weges zu Fuß nach Hause zu gehen. Gerne kann man sich gelegentlich auf einen neuen Umweg einlassen und achtsam auf die Beschaffenheit des Straßenbelags schauen, neue Läden oder die Umgebung entdecken. Die Aufgaben des Tages können so viel leichter zurückgelassen werden. An Wochenenden lohnt sich noch viel mehr ein ausgedehnter Spaziergang im Wald. Wer dazu die Möglichkeit hat, sollte sie unbedingt wahrnehmen. Wir wissen heute, wie positiv sich das auf unser Immunsystem auswirken kann. Auch die gleichmäßige Bewegung, wenn wir einen Fuß nach dem Anderen setzen kann nachweislich die Aktivitäten der beiden Hirnhälften anregen und ausgleichend wirken. Wer mehr darüber wissen möchte, kann im folgenden Buchtipp tiefer einsteigen:
Das Glück des Gehens - Was die Wissenschaft darüber weiß und warum es uns so gut tut
Die erste populärwissenschaftliche Abhandlung über das Gehen – eine der alltäglichsten und zugleich zufriedenstellendsten Tätigkeiten, von der unsere
Gesundheit, unsere Resilienz, unsere Kreativität und unsere Stimmung erheblich profitieren. Kaum etwas bringt uns so schnell auf andere Gedanken und befördert das eigene Wohlbefinden so
problemlos wie ein Spaziergang. Der renommierte Neurowissenschaftler Shane O'Mara ist selbst leidenschaftlicher Spaziergänger und zeigt anschaulich und unterhaltsam, warum der aufrechte Gang
entscheidend für unsere Evolution war, was sich, während wir laufen oder wandern, in unserem Gehirn und Nervensystem abspielt und wie wichtig Gehen für den sozialen Zusammenhalt ist.
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Mein Spaziergang mit dem Spaziergangswissenschaftler Martin Schmitz
Im letzten Jahr lud mich Stefan Kaegi von Rimini-Protokoll zu einem gemeinsamen Spaziergang mit dem Promenadologen Martin Schmitz in Berlin ein. Zu Dritt machten wir uns auf zu einem schönen Spaziergespräch, welches ihr als Audioguide im Rahmen des Projekts "The Walks" auf ungewöhnliche Weise miterleben könnt. (Google Play Store und Apple Store erhältlich)
Obwohl wir aus unterschiedlichen Gründen spazieren gehen - aus therapeutischen oder eher gestalterischen Beweggründen - mal allein, mal in Begleitung von Studenten oder Klienten, haben wir doch einige gemeinsame Nenner gefunden. Unser Selbst, aber auch unser Umfeld können wir erst "schöner gestalten", wenn wir uns darin bewusst und offen bewegen.
Wer wissen möchte, was Spaziergangswissenschaft eigentlich ist, kann sich umschauen auf der Verlagsseite des Dozenten auf https://www.martin-schmitz-verlag.de/
Dort findet ihr Bücher des Begründers der Spaziergangswissenschaften Lucius Burckhardt.
Das Leben konkret "angehen"
Wenn wir langsam spazieren gehen, entfernen wir uns vom Abstrakten und gehen die konkrete Welt und unser Leben direkter an. Wir sehen mehr Details, riechen womöglich mehr, fühlen den Untergrund deutlicher. Es bedeutet auch, dass wir mehr über uns lernen können. Auch unsere Umgebung ist ja eine Art Spiegel für unser Selbst. Du kannst z.B. morgens nach dem Aufstehen schnell ins Bad gehen, die Zähne putzen und ehe du dich versiehst bist du auf dem Weg zur Arbeit, rast vielleicht in der U-Bahn mit Kopfhörern im Ohr direkt von A nach B. Du kannst es aber auch anders machen: nach dem Aufstehen bewusst in den Spiegel schauen. Dir selbst einen schönen Tag wünschen. Dir ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken als sonst. Deinen Morgenkaffee heute mal am Fenster trinken und die Vorbeieilenden auf ihrem Weg beobachten. Nach Vogelgezwitscher horchen... Einen Teil des Weges zu Fuß zur Arbeit gehen. Oder, wie schon weiter oben vorgeschlagen, auf dem Rückweg einfach mal früher aussteigen aus der schnellen Bahn. Dich entschleunigen und den Weg als Ziel mit einbeziehen. Vielleicht kommen dir auf deinen neuen Wegen auch frische, neue Ideen und Lösungsmöglichkeiten entgegen. Viel Glück beim Gehen!
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